Die Schule am Hang

Elias Baumgarten
11. April 2024
Das neue Schulhaus vom terrassierten Grünraum auf der Nordseite aus gesehen: Gut zu erkennen sind der rundliche Treppenturm und der Durchgang zum Pausenplatz auf der gegenüberliegenden Seite. (Foto: Roland Bernath)

Es ist ihr rundlicher Treppenturm, den man zuerst sieht, nähert man sich Ennetbadens neuer Primarschule vom Ortszentrum her. Leicht und unbekümmert wirkt er mit seinen umlaufenden Fensterbändern und den Fassadenplatten aus grünem Welleternit – ein schöner Kontrast zur Kirche des Basler Architekten Hermann Baur im Hintergrund mit ihren scharf geschnittenen, kantigen Formen in Sichtbeton. Mit seinen betonierten Stirnfassaden nimmt das Schulhaus zugleich Bezug auf seinen brutalistischen Nachbarn. Die beiden Bauten stehen auf verschiedenen Höhenstufen an einem Einschnitt im Gelände, der zwischen Geissberg und Lägern zur Limmat verläuft. Eine Treppenanlage führt zwischen einigen Bäumen hindurch vom Ortskern zum neuen Schulhaus empor, das auf einer Geländeterrasse steht. Hat man die Stufen erklommen, betritt man einen terrassierten Grünraum auf der Nordseite der Schule, wo die Kinder an warmen Tagen Unterricht im Freien haben. Jetzt ist das Bauwerk zum ersten Mal in seiner Gesamtheit sichtbar.

Der Neubau der jungen Architekten Luc Kummer und Martin Schiess ist Teil der Bebauung entlang einer Hangkante und gehört zu einer grösseren Anlage mit Schul- und Verwaltungsbauten verschiedenen Alters. Er ersetzt ein in die Jahre gekommenes Schulhaus aus den 60ern. Zur Gestaltung eines Ersatzneubaus wurde ein Wettbewerb im selektiven Verfahren veranstaltet, den die Zürcher gewinnen konnten.

Blick aus dem Turm auf die Sitztreppe, die die Aussenräume auf der Nord- und der Südseite der Schule miteinander verbindet. Der Durchgang ist auch Teil der Quartierserschliessung. (Foto: Roland Bernath)
Virtuoses Spiel mit dem Terrain

Was die Jury zu ihrer Entscheidung bewog, wird vor Ort rasch deutlich: Das neue Schulhaus ist meisterhaft ins ansteigende Gelände gesetzt. Der schmale, längliche Baukörper ist diagonal zum Hang platziert. Auf diese Weise haben drei der fünf Stockwerke einen ebenerdigen Zugang: die Werkräume im Untergeschoss auf der Nordseite, Aula und Bibliothek im Erdgeschoss auf der Südseite und der Kindergarten im ersten Obergeschoss an der Südostecke. Ein Durchgang mit Sitzstufen, der auch Teil der öffentlichen Quartierserschliessung ist, verbindet die Lernlandschaft vor der Nordfassade mit dem Pausenplatz auf der gegenüberliegenden Seite des Gebäudes. Am oberen Ende der Freitreppe befindet sich der Eingang zur Schule, und durch zwei grosse runde Fenster kann man auf den Stufen sitzend in die Aula und die Bibliothek, aber auch die darunter befindlichen Werkräume gucken. Ein gewundener Weg schliesslich führt vom Pausenplatz entlang der Südfassade zum Eingang des Kindergartens mit zwei Gruppen hinauf.

Der Treppentrum wurde vor Ort betoniert. Böden und Stufen erhielten einen Terrazzoschliff. (Foto: Roland Bernath)

Erschlossen werden die insgesamt fünf Stockwerke über den besagten weithin sichtbaren Treppenturm, den die Architekten vor die Nordfassade gestellt haben. Während das Tragwerk des Schulhauses aus vorfabrizierten Betonrahmen mit 13 Metern Spannweite besteht, wurde der Turm, in dem sich eine Treppe um den Liftschacht nach oben schraubt, vor Ort betoniert. Alle Oberflächen in seinem Inneren sind in Sichtbeton ausgeführt, Treppenstufen und Böden erhielten einen Terrazzoschliff. Durch die grossen Fenster kann man über Ennetbaden hinweg auf die Limmat und weit ins hügelige Umland sehen. Ganz zuoberst hat der Zürcher Künstler Navid Tschopp ein Kunst-am-Bau-Projekt verwirklicht: Die Decke ist magnetisch. Kinder, die die Schule verlassen, dürfen sich mit farbigen Magneten verewigen. Warum aber überhaupt der Turm neben der Schule? Er macht die Topografie spürbar, doch vor allem entfallen durch ihn Treppenhäuser, die die gestapelten Hallen der Geschosse vertikal durchdringen würden. Sollten sich die Anforderungen an das Schulhaus in Zukunft verändern, etwa durch neue pädagogische Konzepte, können die Räume sehr leicht angepasst werden.

Auch die Gaderoben sind Teil der Lernlandschaft. Die Kinder finden dort Arbeitsplätze entlang der Fenster und in die von den Architekten entworfenen Möbel integrierte Nischen. (Foto: Roland Bernath)
Immer zwei Klassenzimmer sind über Gruppenräume miteinander verbunden und können zusammengeschaltet werden. Möchte man die Räume dagegen separat nutzen, lassen sich zum Sichtschutz Vorhänge zuziehen. (Foto: Roland Bernath)
Schaltbare Räume und ein zweigeschossiges Spielmöbel

Die Regelgeschosse sind als Einspänner organisiert. Vom Turm aus gelangt man über eine Vorzone mit zentralisiertem Warmwasserhub und den WCs zu den Garderoben. Mit Arbeitsplätzen vor den Fenstern und in die Möbel integrierten Nischen sind sie bereits Teil der Lernlandschaft. Immer zwei der insgesamt 10 Klassenzimmer sind über zwei Gruppenräume miteinander verbunden. So lassen sie sich zu einer grossen Lernlandschaft zusammenschliessen oder getrennt nutzen. Die Lehrerinnen und Lehrer öffnen und schliessen dazu einfach die grossen Glastüren und ziehen bei Bedarf Vorhänge als Sichtschutz zu. Dieses Konzept haben Luc Kummer und Martin Schiess in enger Zusammenarbeit mit der Schulleitung entwickelt. Es erlaubt in Zukunft zwei Lehrpersonen, gemeinsam etwa 40 Kinder zu unterrichten. Das macht Sinn, denn Unterricht erfolgt heute kaum noch frontal. Stattdessen erhalten die Kinder einen Wochenplan und arbeiten individuell in Kleingruppen oder einzeln.

Raumprägend sind die Medienkanäle, in denen Luft- und Stromleitungen verlaufen. Sie wurden im Bereich der Wände zwischen Korridor und Schulzimmern unter die Unterzüge gehängt. Zwischen Medienkanälen und Trägern sind Oberlichter eingebaut. Das schafft einen Bezug zum Gang, der die Lernlandschaft zusammenbindet. Ausserdem erhalten die Klassen so Licht von zwei Seiten und das Tragwerk wird erlebbar.

Die Klassenzimmer werden räumlich von den Medienkanälen geprägt, die unter die Unterzüge gehängt sind. (Foto: Roland Bernath)

Für gewöhnlich bestimmen Erwachsene, wie ein Schulhaus aussehen soll. Doch in Ennetbaden wurden die Kinder an der Planung beteiligt: Schon zu einem frühen Zeitpunkt dachten sie gemeinsam mit ihren Lehrerinnen und Lehrern über ihre Traumschule nach. Die Ergebnisse wurden in einem Haltungspapier niedergeschrieben. Und in Workshops entstanden Modelle, die den zum Wettbewerb eingeladenen Architektenteams präsentiert wurden. Mit einem Augenzwinkern erzählen Luc Kummer und Martin Schiess, sie hätten nicht alle Wünsche erfüllen können. Ein Hubschrauberlandeplatz zum Beispiel sei nicht möglich gewesen. Doch neben den erwähnten Nischen und der Farbgestaltung der Nasszellen entstand aus der Beteiligung der Kinder auch ein fabelhaftes doppelgeschossiges Möbel zum Toben, Klettern und Rutschen, das zwei Räume im vierten und fünften Stock miteinander verbindet.

Die Werkräume im Untergeschoss lassen sich zum Aussenraum öffnen. An warmen Tagen können die Kinder die Arbeitstische ins Freie schieben. (Foto: Roland Bernath)
Der Mühe wert

Die jungen Architekten haben grosse Energie in ihr Erstlingswerk gesteckt. Mit der Übergabe des Baus im vergangenen November ging für die einstigen Preisträger des renommierten Nachwuchswettbewerbs Foundation Award eine intensive, gute Zusammenarbeit mit Bauherrschaft, Nutzern und Fachplanern zu Ende. Dabei hatten sie nicht nur die schöne Aufgabe, die Wünsche der Kinder zu erfüllen, sondern mussten ihren Entwurf auch dem Kostendruck anpassen: Den zunächst geplanten Holzbau mit Ganzglasfassade lehnte die Gemeinde aus Kostengründen ab. So entwickelten die Zürcher einen effizienten Hybridbau: Das schlanke reduzierte Tragwerk aus Betonfertigteilen wird ergänzt mit Brüstungen aus Holzelementen. Um die Leichtigkeit ihres ursprünglichen Entwurfs darüber nicht zu verlieren, entwickelten sie eine Gebäudehülle mit ausgestellten Welleternitplatten. Die Untersichten gestalteten sie dabei sorgfältig und fügten verspielte Details wie übergrosse Insektenschutzgitter hinzu. Die fensterlosen Stirnseiten des Schulhauses liessen sie derweil in Sichtbeton ausführen. Der Effekt ist grossartig: Die grünlichen Bänder wirken wie Pelerinen, die vom Wind sanft bewegt werden.

Zurzeit arbeiten Luc Kummer und Martin Schiess an der Sanierung des Nachbarbaus ihrer neuen Schule. Dereinst sollen sich dort unter anderem die Büros der Schulleitung, das Lehrerzimmer, Besprechungsräume und ein Malatelier befinden. Verbunden haben sie die beiden Häuser bereits durch ein elegantes Vordach. Je nach Perspektive scheint es vom Neu- oder Altbau auszugehen. 

Ein Vordach verbindet die Schule mit dem Nachbarbau aus den 1930er-Jahren, den Luc Kummer und Martin Schiess gerade sanieren. (Foto: Roland Bernath)
Situation (© KUMMER / SCHIESS Architekten)
Grundriss Untergeschoss (© KUMMER / SCHIESS Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (© KUMMER / SCHIESS Architekten)
Grundriss 2. Obergeschoss (© KUMMER / SCHIESS Architekten)
Querschnitt (© KUMMER / SCHIESS Architekten)
Längsschnitt (© KUMMER / SCHIESS Architekten)
Bauwerk
Schulhaus Bachtal, Ennetbaden
 
Bauherrschaft
Gemeinde Ennetbaden
 
Architektur
KUMMER / SCHIESS Architekten, Zürich
 
Bauleitung
WT Partner AG, Zürich
 
Bauingenieur
Thomas Boyle + Partner Bauingenieure, Zürich
 
Landschaftsarchitektur
Maurus Schifferli Landschaftsarchitekt, Bern
 
Kunst-am-Bau
Navid Tschopp, Zürich
 
Elektroplanung
Gutknecht Elektroplanung AG, Au ZH 
 
HLK-Planung
energiehoch4 AG, Zürich 
 
Sanitärplanung
RMB Engineering AG, Zürich 
 
Bauphysik und Brandschutz
mühlebach partner ag, Winterthur 
 
Fassadenplaner Treppenturm
Mebatech AG, Baden

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